Ein Stolperstein für Rosa Mayer – Zeitzeugen-AG gestaltet Präsentation zum Gedenken an die jüdische Kehlerin

Rosa Mayer war bereits 65 Jahre alt, als am 22. Oktober 1940 – am letzten Tag des jüdischen Laubhüttenfests – Gestapo und Polizeibeamte an ihre Tür klopften, um die Deportation der alten Frau durchzuführen. Seit heute erinnert ein Stolperstein an ihre letzte Wohnadresse in Deutschland. Er wurde in einer Gedenkveranstaltung in der Kehler Oberländerstraße Nr. 8 verlegt.

Das Haus, in dem Rosa Mayer lebte, existiert heute nicht mehr. Die Veranstaltung fand daher im Innenhof des neuen Gebäudekomplexes „Kinzighöfe“ statt. Begrüßt wurden die Anwesenden von Pastoralreferent Martin Kramer (als Vertreter des „Arbeitskreises 27. Januar“) und Oberbürgermeister Toni Vetrano. Er wies in seiner Ansprache auf die unsägliche Relativierung der Opfer der NS-Diktatur durch jene Corona-Demonstranten hin, die etwa nachempfundene Davidsterne und KZ-Uniformen zur Schau tragen, um sich selbst auf eine Stufe mit den damaligen Opfern zu stellen.

Unter den Augen von zahlreichen Menschen, auch Anwohnern, die von den Balkonen die Veranstaltung verfolgten, umrahmten Lea Balzar (J2) und Michael Klett mit ihrem Geigenspiel die Redebeiträge berührend mit Stücken von Bréval und Pachelbel.

Zehn Schülerinnen der Zeitzeugen-AG (Klasse 9b) und ein Schüler der Jahrgangsstufe 1 präsentierten im Folgenden einzelne Lebensstationen von Rosa Mayer in einer szenischen Lesung, die von Bildern, Zeitzeugen-Aussagen und Audio-Dokumenten begleitet wurde.

Rosa Mayer (geb. Murr) kam am 14. Dezember 1874 in Ulm zur Welt. Sie war das älteste Kind der Familie und hatte noch sechs Geschwister, von denen drei bereits im Kindesalter starben. Vier Stühle symbolisierten ihre eigene Familie, die zusammenschrumpfte – ihr Sohn Martin kehrte im Alter von 19 Jahren nicht aus dem Ersten Weltkrieg zurück. Ihr Mann Max Mayer, mit dem sie in den 20er Jahren aus dem Schwäbischen in die badische Grenzstadt gezogen war, verstarb 1926 an Leukämie. Rosas Tochter Johanna zog Anfang der 30er Jahre nach Bühl und im März 1939 gelang Johanna mit ihrer jungen Familie noch die Auswanderung über Havanna in die USA.

Verwitwet lebte Rosa Mayer in den 30er Jahren in der Kehler Oberländerstr. 8. Die jüdische Zeitzeugin Hella Ben Seev (geb. Kaufmann) (Jg. 1924) konnte noch über Rosa Mayer mitteilen, dass sie eine lebenslustige Frau gewesen war: „Sie kam oft zu uns. Man sagte immer: ‚Keine Feier ohne Mayer.‘ An was ich mich noch erinnere, ist, dass sie mich [den Satz] gelehrt hat: ‚In Ulm und um Ulm und um Ulm herum.‘ Und das muss man schnell sprechen.“

Im gleichen Haus wie Frau Mayer wohnte damals die Familie von Regina Müll. Als kleines Kind wurde sie von Frau Mayer oft zu sich an den gedeckten Tisch geladen: „Die war zu mir wie eine Oma.“ Eines Tages wird Regina Müll ihre Eltern fragen, wo denn die „Oma Mayer“ ist. Die Eltern sagten ihr bereits damals, dass man die alte Frau abgeholt hat. Am 22. Oktober 1940 sollten in ganz Baden, der Pfalz und im Saarland alle verbliebenen jüdischen Einwohner deportiert werden. Auch Rosa Mayer blieben nur zwei Stunden Zeit, 50 kg Gepäck und 100 Reichsmark durfte die 65-jährige Frau mitnehmen und etwas Proviant. Ihre Wohnung in Kehl wurde versiegelt, ihre Möbel und ihr Hausrat später versteigert, ihr verbliebenes Konto eignete sich der Staat an.

Zurück lagen seit 1933 Jahre der NS-Diktatur, die Rosa Mayers Leben zunehmend einengten, vor ihr lagen noch Jahre des Leidens: Mit Rosa Mayer wurden an jenem 22. Oktober 15 jüdische Einwohner von Bodersweier und 21 weitere jüdische Bewohner von Kehl nach Südfrankreich ins Lager Gurs deportiert. Das sagte man den Betroffenen aber nicht. Drei Tage und vier Nächte waren die Menschen im Transportzug unterwegs, manche überleben schon die Strapazen der Fahrt nicht. Den menschenunwürdigen Zuständen in Gurs erliegen besonders in den folgenden Wintermonaten zahllose Deportierte.

Ihre letzten Lebensjahre war Rosa Mayer in Gurs und weiteren französischen Lagern interniert, während die Deportationszüge in die Vernichtungslager im Osten rollten.

Ihre Tochter Johanna versuchte Rosa mit ihrem Mann noch aus den USA durch Geld und Nahrungsmittel nach Möglichkeit zu unterstützen. Rosa Mayer kehrte aber nie wieder nach Deutschland zurück. Sie überlebte den Zweiten Weltkrieg um wenige Monate und starb an den Folgen der unzureichenden Lebensverhältnisse am 14. Juli 1945 im ehemaligen Internierungslager Masseube.

Symbolisch packten die Schülerinnen der Zeitzeugen-AG Gegenstände in die alte Reisetasche vor dem Porträt von Rosa Mayer und legten Davidsterne mit den Namen der Kehler Deportierten auf den verbliebenen großen Reisekoffer. Nach den Violinklängen von „Air“ gingen alle Beteiligten gemeinsam an die Oberländerstr. 8, wo der Stolperstein durch Mitarbeiter des Betriebshofs im Boden seinen Platz fand, umrahmt von weißen Rosen:

Hier wohnte Rosa Mayer bis zum 22. Oktober heute vor über 80 Jahren.

[HBR]

Fotos: Pressestelle Stadt Kehl