Auf zur Wiege des modernen Denkens - Studienfahrt in die Toscana

Den Kopf leergeräumt von unnötigem Ballast, abgeschüttelt die Trägheit vergangener Ferientage, bereit für das Abenteuer Wissen – so machten sich die Teilnehmer der Studienfahrt Toskana auf nach Italien. Wie symbolträchtig mutete bereits die Busfahrt an: Nach vielstündiger Fahrt durch die Nacht des Mittelalters, den Ort des Grauens hinter uns lassend, kam unsere Gruppe bei Anbruch des Tages begleitet von den Sonnenstrahlen eines neuen Zeitalters im Herzen der Toskana an: Vinci, der Geburtsort des legendären Leonardo, wurde für eine Woche zur neuen Heimat. Die Entdeckung der Renaissance, des neuen Welt- und Menschenbildes, ja des modernen Denkens überhaupt – keinem geringen Ziel hatten sich die Teilnehmer verschrieben. Ihre Bastion: eine malerische Villa einen Steinwurf von Vinci entfernt, die als Postkartenmotiv alle Italiensehnsüchte bediente.

Umgeben von Weinbergen, die der (offenbar chronisch unzuverlässige) Sohn der älteren Besitzerin verfallen ließ, führte eine Zypressenallee zu dem einsam gelegenen Anwesen, in dem sich großzügig eingerichtete Wohnungen spielerisch verwinkelt darboten. Unsere Führer, der Philosoph Ullrich und seine Gehilfen, begleiteten uns in den kommenden Tagen auf der Reise in die Moderne: Bereits im Schatten der Burg in Vinci wurde uns erklärt, dass die Neugierde nun keine Sünde mehr sei, sondern die neue Tugend. Diese trieb die Studienfahrer auch nach dem Besuch des „Museo Leonardiano da Vinci“ weiter aufwärts, durch Olivenhaine und vorbei an alten Gehöften zum Geburtshaus des Leonardo. Der anstrengende Fußmarsch in das abgelegene Bauernhaus könnte vielleicht einer der Gründe sein, weshalb bereits der berühmte Sohn der Stadt besonders daran interessiert war, wie der Mensch große Kraftaufwendungen vermeiden könnte, um ans Ziel zu gelangen. Den Hubschrauber (bzw. den Hubschreiber-Einsatz) aber hatte Leonardo, wie uns zuvor versichert wurde, nicht erfunden. Trotzdem blieb dieses Thema virulent.

Was ist nützlich, was spart Zeit, was hebt uns von anderen ab – diese Denkmuster waren offenbar typisch für die Entwickler und Ideengeber der Renaissance-Zeit, weshalb z.B. beim Bau der Domkuppel in Florenz auch gleich eine Toilette in der Höhe errichtet wurde für die Arbeiter. Für Florenz nahmen wir uns gleich zwei Tage Zeit (bzw. 1 ½ nachdem am Busparkplatz eine Parkgebühr gefordert wurde, die an Räuberei grenzte und uns dazu bewog, mit der Straßenbahn in die Innenstadt zu fahren):

Wir betraten die Paläste der Medici und Strozzi, staunten beim Anblick des Doms und der Kirchen, durchliefen in den Uffizien die Kunstgeschichte und erkannten in der Reiterstatue von Cosimo I. de‘ Medici einen Seelenverwandten, der bereits wusste, was letztendlich zählt: Wir selbst. Seinem Beispiel folgend wurden dann auch von manchen Kursteilnehmern tausende Selbstbildnisse gefertigt, bei denen natürlich auch antike Kunstkriterien herangezogen werden konnten: Harmonie, Proportionalität, räumliche Strukturen und neue Perspektiven bestimmten die Selfies. Andere Teilnehmer ließen es sich besonders zur Essenszeit nicht nehmen, wie vornehme Tuchhändler zu speisen: Hummer und Hase wurden geordert und auch Wildschwein (letzteres aber vergeblich zur Mittagszeit). Auch die weiteren Ausflüge boten schillernde Eindrücke, während die Führungen daran erinnerten, was Philosoph Ullrich von den Schulen als wichtigstes Bildungsziel verlangte: Mindestens zwei Stunden am Stück zuzuhören. Über die wuchtigen Stadtwälle und durch die Gassen von Lucca flitzten wir mit Fahrrädern, in Volterra schritten wir durch das einzigartige etruskische Stadttor, in Pontedera musterten wir unzählige Vespa-Modelle und in Pisa enträselten wir die Fresken im Camposanto Monumentale. Hier erlebten wir auch eine spontane Welle der Begeisterung: Zahlreiche Touristen forderten uns im Schatten des schiefen Turms scheinbar zum High five auf. Wer am Tage so viel Wissen buchstäblich in sich hineinstopft (z.B. auch woran man eine schlechte Eisdiele erkennt und wie ein gutes Eis zu schmecken hat), der braucht am Abend Ruhephasen. Diese wurden mit einem Großeinkauf beim Supermarkt in Empoli eingeleitet, begleitet von ausgiebigen Kochgelagen, erfrischenden Pool-Séancen zu den Klängen exotischer Musik und chorischem Gesang nach antikem Vorbild. Nach dem Untergang der toskanischen Sonne, die uns nie im Stich ließ im Reiseverlauf, ging die Gesellschaft dann zu leichtfüßigen Spielen und verträumten Gesprächen im Schatten der großen Pinien und Zedern der Villa über. Schließlich mussten dreimal um Mitternacht auch noch Geburtstage gebührend gefeiert werden. Quasi blank, dafür aber reich an Kenntnissen, berühmten Namen, Daten und unser modernes Denken prägenden Erfahrungen fuhren wir am siebten Tage wieder zurück nach Deutschland – die Toskana im Herzen.

[HBR]