Nicht „Schulmeister“, sondern Mensch – Nachruf zum Tod des ehemaligen „Einstein“-Schulleiters Franz Bierhalter

Für alle, die in den 70er, 80er und 90er Jahren das Einstein-Gymnasium besucht oder dort unterrichtet haben, war es eine traurige Nachricht, die vergangene Woche die Schulgemeinschaft erreichte: Franz Bierhalter ist tot. Ein Vierteljahrhundert lang, länger als jeder seiner Vorgänger und Nachfolger, hatte der gebürtige Pforzheimer die Geschicke des Kehler Gymnasiums geleitet. Es war keine Übertreibung, wenn bei seiner Verabschiedung im Jahr 1998 festgestellt wurde, dass das „Einstein“ für viele identisch mit Franz Bierhalter geworden war. Übersehen konnte man Herrn Bierhalter ohnehin nicht, riesenhaft war seine Statur. Das Bild des an der Balustrade im 1. Stock stehenden Mannes dürfte vielen Schüler:innen und Lehrer:innen in Erinnerung geblieben sein. Seine eigentliche Größe entfaltete der damalige Schulleiter aber durch seine große Menschlichkeit, seinen souveränen Führungsstil und das Verständnis für seine Schule und alle, die darin lebten.

Begonnen hatte die Ära Bierhalter am „Einstein“ im Jahr 1973. Als einer der jüngsten Schulleiter Baden-Württembergs trat Franz Bierhalter mit 38 Jahren sein Amt in Kehl an, die Nähe zu Frankreich und Straßburg zog ihn in die Grenzstadt. In Tübingen und Freiburg hatte er Französisch, Englisch und Sport studiert, nach dem Referendariat war seine erste Lehrerstelle am Gymnasium in Rheinfelden. In dieser Zeit schloss Bierhalter auch seine Promotion in französischer Literatur über André Malraux ab. Abgehoben war er deshalb weder als Schulleiter noch bei seinen Interessen und Hobbys. Zu seinen Vorlieben in Fremdsprachen und Philosophie kamen vielseitige Fähigkeiten:

Schon sein Musiklehrer schätzte Bierhalters Klavierspiel, ein Vorgang, der sich mit vertauschten Rollen wiederholte, wie „Einstein“-Lehrer Andreas Dilles zu berichten weiß: „Ich hatte Herrn Bierhalter in der 9. Klasse in Französisch und wir waren Rabauken. Ihn hat nichts aus der Ruhe gebracht. In dieser Klasse hat er offenbar auch mein Talent als Pianist bemerkt, denn er hat bis zum Abitur immer wieder nach meinem Fortkommen, Auftritten und Berufswünschen gefragt.“ Den Ausgleich zur geistigen Betätigung fand Bierhalter auch als Athlet, war er doch mehrfacher Kreis- und Landesmeister in der Leichtathletik und selbst im höheren Alter errang er noch, wie etwa im Jahr 1997, in seiner Altersklasse den badischen Meistertitel im Kugelstoßen.

Wie man schwere Gewichte in die passende Richtung befördern kann, hat Franz Bierhalter zielstrebig auch in seiner langjährigen Amtszeit an der Spitze des „Einsteins“ unter Beweis gestellt. Er wollte ein modernes Gymnasium und war sich schon früh sicher, dass die Schule ihre Probleme nicht alleine durch Verwaltung lösen kann. Kommunikation und Kooperation aller am Schulleben Beteiligten war für ihn keine Phrase, sondern gelebter Alltag. Das kann auch der damalige Elternbeiratsvorsitzende Hans-Ulrich Müller-Russell bestätigen: „Franz Bierhalter zeichnete eine besondere Form von Menschlichkeit aus. Er machte darüber nicht viele Worte, aber erkennbar wurde sie in den typischen Schulkonflikten, die ich miterlebt habe. Dabei ließ er sich vom Respekt vor jedem Einzelnen, vor allem gegenüber den Schwachen leiten, die Verlierer im Konflikt werden konnten.“

Beharrlich setzte sich Bierhalter in seiner Amtszeit für die Förderung des Französisch-Intensiv-Unterrichts ein und ebnete damit den Weg zum heutigen deutsch-französischen bilingualen Zug und zur Etablierung des Abi-Bacs am „Einstein“. Überhaupt waren ihm der Blick über den Tellerrand des eigenen Gymnasiums, Austausche, Schulpartnerschaften und die Beziehungen zu den Straßburger Schulen, die auch durch Basketball- und Volleyballspiele gepflegt wurden, eine Herzensangelegenheit. Eine weltoffene Schule sollte das „Einstein“ sein und eine, die das Leistungsvermögen ihrer Schüler:innen erkennt und ausschöpft. So setzte sich Franz Bierhalter sowohl für vielfältige Förderkurse zugunsten schwächerer Schüler:innen ein als auch für die Förderung der besonders Begabten: Auf die zahlreichen Auszeichnungen bei Landes- und Bundeswettbewerben, die Mitglieder der von ihm initiierten „Begabten“-AG errangen, war er genauso stolz wie auf die Beiträge des Gymnasiums zum Kehler Kulturleben, darunter die jährlichen Theater-Aufführungen und großen Konzerte. Keine leichte Aufgabe, aber eine, die das „Einstein“ unter seiner Leitung bravourös schulterte, war die Gestaltung der Feierlichkeiten zur 100-Jahr-Feier des Kehler Gymnasiums 1995.

Wer 25 Jahre an der Spitze einer Schule steht, erlebt notgedrungen zahlreiche Reformen, muss ungeliebte Änderungen umsetzen und Ideen von gestern wieder verabschieden. Für Bierhalter war dies kein Grund zur Klage, wie er einmal bei einem Interview mit der Kehler Zeitung im Ruhestand rückblickend bekundete: „Reformen schaffen Unruhe, das ist doch gar nicht schlecht. Ein steter Wechsel liegt in der Natur der Erziehung und des Lebens.“ Zur Erziehung gehörte für ihn die Freiheit, besonders auch die Freiräume der Schüler:innen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Der ehemalige „Einstein“-Lehrer Willi Mahler ergänzt: „Der liberale, weltoffene Geist am ‚Einstein‘ geht vor allem auf sein Wirken zurück.“

Neben der würdigen Repräsentation der Schule nach außen verstand es Franz Bierhalter auch nach innen Autorität zu verkörpern, ohne autoritär aufzutreten. Bis heute schätzen ehemalige Kolleginnen und Kollegen seinen Führungsstil: „Wir konnten individuell unsere Klassen führen und viele spontane Aktionen durchführen ohne große bürokratische Hürden“, erinnert sich beispielsweise Gabi Kummer. Autonomie und Richtung konnten sich bei Franz Bierhalter natürlich verbinden.

Ein Vierteljahrhundert an der Spitze der Schule bedeuteten schließlich auch, dass der langjährige Direktor zahllose Abiturjahrgänge begleitete und traditionell mit einer Rede verabschiedete, leicht gebeugt, wenn das Mikro mit seiner Größe nicht standhalten konnte. Das „Einstein“ schwoll je nach Fluktuation der Geburtenjahrgänge in seiner Ära an und ab, Anfang der 80er Jahre musste für 1200 Schüler:innen Platz gefunden werden. Für stürmische Zeiten war Franz Bierhalter jedoch prädestiniert, schließlich verkörperte er in seiner Person souveränen Halt und stoische Ruhe. Den Krieg hatte er indessen in seiner Jugend in Pforzheim eindrücklich erlebt und im Gedächtnis bewahrt. Die zunächst schullose Zeit der Kriegswirren empfand er rückblickend trotzdem als besonders angenehm – konnte er doch ungebunden auf der Straße unterwegs sein.

Als er im Alter von 64 Jahren in den Ruhestand ging, fiel ihm der Abschied von der Schule naturgemäß sehr schwer – und erst recht dem „Einstein“ von Franz Bierhalter. Seine soziale Einstellung, sein wertschätzender Umgang, sein Interesse an der Schule waren auch nach seiner Zeit für alle „Einsteiner“ spürbar, die ihm begegneten. Die neuen Herausforderungen der Integration und Inklusion im Schulalltag verfolgte er mit großer Anteilnahme: „Der modernen Hinführung der Schüler zu mehr Aufmerksamkeit und Verständnis für die Benachteiligten in der Gesellschaft gilt meine ganze Sympathie.“

Am vergangenen Donnerstag ist Franz Bierhalter im Alter von 87 Jahren verstorben. Das „Einstein“ gedenkt nicht nur eines prägenden Schulleiters. In den Gedanken zahlloser Ehemaliger bleibt vor allem ein hilfsbereiter, liebevoller Mitmensch und Kollege.

[HBR]

                              Franz Bierhalter bei seiner Verabschiedung 1998                                                                                            im Jahr 2019 (Martin Egg)