„Partei ergreifen für die Werte der Demokratie“ – Landtagspräsidentin Muhterem Aras besucht die J1

Ihr politischer Aufstieg in das Amt der baden-württembergischen Landtagspräsidentin war keine Selbstverständlichkeit – Muhterem Aras wurde in der Türkei geboren und zog im Alter von 12 Jahren als Tochter eines „Gastarbeiters“ nach Deutschland. In einem Land, in dem der Zusammenhang von ethnischer bzw. sozialer Herkunft und Bildungserfolg so eng verbunden ist wie in der Bundesrepublik, war Muhterem Aras‘ Weg in die Politik und zur Repräsentantin des Parlaments somit bemerkenswert.

Über ihren Werdegang, ihr politisches Selbstverständnis, ihr Amt als Landtagspräsidentin als auch über aktuelle politische Themen sprach Muhterem Aras in der Aula des Schulzentrums vor den Schüler:innen der Jahrgangsstufe 1 vergangenen Donnerstag, schülernah und ohne Berührungsängste.

Wichtig war es Frau Aras daran zu erinnern, dass ihre Wahl zur Landtagspräsidentin im Jahr 2016 auch insofern ein Novum war, als zum ersten Mal überhaupt eine Frau in dieses Amt gewählt wurde. Die Männerdominanz in vielen Parlamenten ist bis heute zwar ungebrochen (nur knapp 30 Prozent der Abgeordneten im Landtag von Baden-Württemberg sind Frauen), doch ermöglicht die Wahl wie im Fall von Muhterem Aras auch einen Bewusstseinswandel, der nicht zuletzt auch von den weiblichen Parlamentariern selbst vorangetrieben wird. „Der Präsident erteilt das Wort“ – so lautete etwa die Geschäftsordnung des Landtags, bis Muhterem Aras dies nicht länger hinnehmen wollte. „Sprache prägt unglaublich“, gab Frau Aras zu bedenken. In ihrem Amt als Landtagspräsidentin ist sie bei Redebeiträgen ohnehin stets gefordert, muss genau zuzuhören und gegebenenfalls eingreifen, wo auch sprachlich Grenzen überschritten werden. Die Leitung der Parlamentssitzungen empfand sie daher, insbesondere durch das Verhalten der neuen AfD-Fraktion im letzten Landtag (die Aras aber nicht namentlich erwähnte), als besonders herausfordernd. Ein Stresstest für die Demokratie sei die letzte Legislaturperiode gewesen, da einzelne Abgeordnete bewusst versucht hatten, den parlamentarischen Betrieb zu sabotieren. Ordnungsrufe, ja sogar Ausschlüsse und der Einsatz von Polizei im Landtag waren die Folge. Auf die mediale Selbstinszenierung der betroffenen Störer wies Muhterem Aras ebenso hin wie auf die geschmacklose Instrumentalisierung von Opfern zur Verfolgung der eigenen politischen Agenda.

Muhterem Aras machte deutlich, dass das Amt der Landtagspräsidentin dem einer Schiedsrichterin gleicht – sie darf nicht für eine Fraktion Partei ergreifen, sondern muss überparteilich führen – doch muss und soll sie deshalb nicht stillschweigend hinnehmen, dass die demokratischen Regeln des Spiels bewusst verletzt und hintertrieben werden. Dass man Partei für die Werte unserer Demokratie ergreifen muss, war Frau Aras ein elementares Anliegen. Dass sie umgekehrt aufgrund ihrer Positionen, ihrer Herkunft, als Frau und Vertreterin der Grünen auch Hassmails und sozialer Hetze ausgesetzt ist, lässt sie dabei nicht verstummen oder daran denken, ihr Amt aufzugeben: „Ganz sicher nicht. Jetzt erst recht!“. Muhterem Aras wehrt sich, auch mit juristischer Unterstützung der Landtagsverwaltung (ein Privileg, wie sie betonte, das beileibe nicht alle Betroffenen in Deutschland in Anspruch nehmen können).

Neben der Leitung der Parlamentssitzungen vertritt Muhterem Aras den Landtag als dessen Repräsentantin auch nach außen, ist im ganzen Land unterwegs und besucht so auch zahlreiche Schulen – wie an diesem Morgen das „Einstein“ und die Tulla-Realschule. Zudem ist Aras auch Leiterin der Landtagsbehörde mit mehreren hundert Bediensteten.

Den Fragen, mit denen Philip Fahrer und Lilli Beckers (beide Jahrgangsstufe 1) als Moderationsduo professionell durch die Veranstaltung führten, versuchte Muhterem Aras nicht auszuweichen, sondern antwortete offen und ohne Lavieren. So sprach sie auch über ihre eigene Herkunft, die Bedeutung, frei sprechen und denken zu können nach den Erfahrungen ihrer Kindheit und Jugend in der Türkei (Aras gehört der alewitischen Religionsgemeinschaft an und stammt aus einer kurdischen Familie); die Anfänge ihres politischen Denkens thematisierte sie, die Bedeutung von Heimat als auch ihren Weg in der Partei der Grünen, damals noch nicht aufgrund von Umweltthemen, sondern wegen der Positionen der Partei in Fragen der Menschenrechte, des Umgangs mit Minderheiten und der Gleichberechtigung. Weitere Gesprächsthemen drehten sich um den politischen Parlamentsalltag, den laufenden Krieg in der Ukraine und die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Den Schluss der Veranstaltung nutzte Muhterem Aras, um die Schüler:innen auch persönlich zu motivieren, den eigenen Leidenschaften nachzugehen, nach der Schule einmal ins Ausland zu gehen, um den Horizont zu weiten und vor allem aber mutig und engagiert in der Gesellschaft zu sein.

[HBR]