Auf der Suche nach dem guten Menschen

Theater-AG des Einstein-Gymnasiums bringt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ eindrucksvoll auf die Bühne

Jahrelang blieb der Vorhang geschlossen, jetzt öffnete er sich endlich wieder: Die Theater-AG des Einstein-Gymnasiums feierte nach langer Corona-Pause unter neuer Leitung ein tolles Comeback. Gespielt wurde in der Aula des Schulzentrums an zwei Abenden Brechts Parabelstück „Der gute Mensch von Sezuan“. Es stellt die Frage, wie ein Mensch unter ausbeuterischen und elenden Umständen moralisch handeln kann, übt Kritik an Religion und Kapitalismus und setzt Brechts Vorstellungen von einem „epischen Theater“ mustergültig um. Ein anspruchsvolles Unterfangen für eine Theater-AG, das den Schülerinnen und Schüler aus der 8. Klasse bis zur Jahrgangsstufe 2 mit viel Spielfreude gelang.

Eingeleitet wird der Klassiker durch den Auftritt dreier Götter, die die Erde in Gestalt der Provinz

Sezuan mit ihrem Besuch beehren. Sie suchen einen guten Menschen, der als Beweis dafür herhalten kann, dass die Welt so bleiben kann, wie sie ist. Das von Anne Zoschke, Lisa Wiedenmann und Céline Asset mit Selbstironie verkörperte Trio trifft hier auf den lässig-mittellosen Wasserkäufer Wang (Tibor Sohm-Michaux). Er führt die Götter zur Prostituierten Shen Te, der einzigen Bewohnerin, die bereit ist, ihnen Obdach zu gewähren trotz persönlicher Einbußen. Die Götter danken es ihrer Gastgeberin mit der Gabe von 1000 Silberdollar. Mit viel Würde und Empathie spielte Lara Kulic die zentrale Rolle des guten Menschen, der an seinem Dasein verzweifelt: „Auch ich möchte aus keinem meinen Nutzen ziehen und den Hilflosen nicht berauben. Aber wie soll ich dies alles?“

Der bescheidene Reichtum von Shen Te zieht nämlich allerlei Menschen an, die von Shen Te („… ich hoffe, jetzt viel Gutes tun zu können“) profitieren wollen. Wunderbar dargestellt wurde die in ihrem Elend sich aasgeierhaft einfindende Gesellschaft von mehreren Schülerinnen und Schülern. Mit zuckersüßer Miene und bitteren Vorwürfen wäre da die frühere Ladenbesitzerin Die Shin (Magdalena Zubcic), die schnell anwachsende fünfköpfige Familie (angeführt von Josie Bechinger mit Océane Gotte, Josefa Nossol, Sara Frey und Eiringa Bertulyte) und der bedauernswerte Arbeitslose (Maximilian Francke). Sie alle versucht Shen Te großmütig aufzufangen, handelt sich damit aber neue Probleme ein. Ihrem gerade erworbenen Tabakladen droht auch ein schnelles Ende durch die harten Forderungen weiterer ungebetener Kunden wie dem energischen Schreiner (Max Ziegler), der gewinnorientierten Hausbesitzerin Mi Tzü (Lena Dressler) und dem korrupten Polizisten (Emma Geissert-Wihlidal).

Sie alle treiben Shen Te dazu, in ein Alter Ego zu schlüpfen, das den guten Menschen hinter sich lässt: Der erfundene Vetter Shui Ta wurde mit Steffi Todedjrapou brillant von einer zweiten Darstellerin als Kontrastfigur angelegt. Ganz im Gegensatz zur gutmütigen Shen Te griff der Vetter knallhart durch, legte bei seinen Auftritten einen bestimmenden Ton an den Tag und wehrte ungerechte Forderungen mit zweifelhaften Mitteln ab. Fortan galt: Wo Vetter Shui Ta erschien, war für Shen Te kein Platz und umgekehrt.

Weitere Figuren schienen gelegentlich Auswege zu eröffnen, verschärften aber nur die Situation. Das von Marie Heid und Yaelle Dasch-Therond rührend präsentierte alte Teppichhändlerpaar stürzt Shen Te ungewollt ins Unglück, die Angebote des reichen Barbiers Shu Fu (Katalay-Richie Nzali) muss sie abwehren. Schließlich hält sie den glücklosen Flieger Yang Sun (nicht nur als Darsteller überzeugend, sondern auch als Pianist: Louis Dupré la Tour) vom Selbstmord ab, verliebt sich in ihn und wird schwanger – nur um (als Vetter Shui Ta) festzustellen, dass sie einen betrügerischen Ausbeuter angezogen hat – und noch schlimmer: seine ehrgeizige Mutter (genial umgesetzt von Milena Hotopp). Doch auch deren Träume platzen gemeinsam mit der Hochzeit und dem Abgang des resoluten Bonzen (Muriel Gourio). Mit der sich verschärfenden Aufspaltung und Auflösung der Doppelrolle von Shen Te und Shui Ta geht das Stück auf sein Ende zu. Eine Gerichtsverhandlung unter den göttlichen Richtern lässt die am Boden liegende Shen Te hilflos und den Zuschauer mit den berühmten Schlussworten des Chors zurück: „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss / Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“

Das von „Einstein“-Lehrerin Luisa Luem in monatelanger Arbeit geleitete Ensemble der Mitwirkenden beeindruckte nicht nur in den individuellen Rollen, sondern auch als Kollektiv in den großen Szenen, etwa beim Akkordschuften in der neuen Tabakfabrik von Shui Ta oder bei der vom Klavierspiel rauschhaft in den Abgrund begleitenden Hochzeitsgesellschaft. Zum gelungen Theater-Abend trug auch das passend abgestimmte Bühnenbild bei, das zwischen Pavillon und Paravents changierte. Zu den gern übersehenen Rädchen einer gelungenen Aufführung gehörte schließlich die Arbeit der Kostüm-AG unter Lehrerin Simone Woitas (mit Marie Laut, Beyza Tanriverdi, Solène Plass, Maja Sansa, Lucca Schweiger) und die von Schülern selbständig getragene Technik-AG (mit Noah Diekmann, Thomas Bringolf, Jean Bazia, Victor Bringolf und Kiran Sözgen). Auf der Bühne versammelt, empfing die Mitwirkenden tosender Applaus und Begeisterung über das Comeback des Schultheaters am „Einstein“.

(Hbr)