"Im Krieg gewinnt niemand"

Die palästinensische Friedensaktivistin Sumaya Farhat-Naser sprach am „Einstein“ über den Nahostkonflikt

Sumaya Farhat-Naser wurde im Juni 1948 in Palästina geboren, einem schicksalshaften Jahr für den Nahost-Konflikt. Wenige Monate zuvor wurde Israel gegründet und begann der Krieg um die Unabhängigkeit des neuen Staates: Die arabischen Nachbarstaaten akzeptieren weder diesen noch den verabschiedeten UN-Teilungsplan und gingen zum Angriff über. Der Sieg Israels bedeutete in der Folge nicht nur die dauerhafte Etablierung des jungen Staates, sondern auch die Vertreibung hunderttausender Palästinenser*innen, worauf Sumaya Farhat-Naser zu Beginn ihres Vortrags einen besonderen Fokus legte. Als Bewohnerin des Westjordanlandes und christliche Palästinenserin verdeutlichte sie die Bedeutung der Verwurzelung der Menschen vor Ort. Diese drückt sich zum Beispiel in dem Wissen darum aus, wer die eigenen Großväter gewesen sind, deren Namen bereits Jugendliche in einer langen Linie aufsagen können. „Alle Menschen glauben“, verdeutlichte sie, „dass Gott ihnen das Land gegeben hat.“ Daraus resultiere eine Herausforderung, da sowohl die christlichen, jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften jeweils gleichzeitig beanspruchen, das Land zu nutzen.

Zugleich wies sie auf die verbindenden Elemente verschiedener Religionen hin, auch darauf, wie die Achtung der gegenseitigen religiösen Bräuche in ihrem Heimatort Bir Zait zwischen christlichen und muslimischen Familien gepflegt wird. Das friedliche Miteinander ist möglich, so Farhat-Naser, wenn die „sensiblen Trennlinien“ zwischen den Religionen akzeptiert werden.

Auf Basis ihrer jahrzehntelangen eigenen Erfahrung ging Sumaya Farhat-Naser in ihrem Vortrag länger auf die israelische Militärbesatzung in der „West Bank“ ein. Die Schikanen der Besatzungsverordnung, Unterdrückung und Ungerechtigkeit thematisierte sie an vielen Beispielen, wie etwa dem unterschiedlichen Zugang zu Wasser bzw. den unterschiedlichen Wasserpreisen für jüdische Siedler und Palästinenser*innen, dem Verlust von Weideland für Hirten, der gewaltigen Zahl politscher Häftlinge. Die Zerstückelung des Westjordanlandes kommentierte sie auf Karten ebenso wie die Schwierigkeiten für Palästinenser*innen, sich auf getrennten Straßensystemen durch unzählige Checkpoints der israelischen Armee fortzubewegen. Mit Kritik sparte Sumaya Farhat-Naser auch nicht am Verhalten der israelischen Regierung und gewalttätiger Siedler. An einzelnen Stellen hob sie dagegen den Einsatz israelischer Gruppen bzw. zivilgesellschaftlicher Organisationen in Israel für eine friedliche Lösung bzw. Unterstützung palästinensischer Anliegen hervor. Die Eskalation der Gewalt seit dem 7. Oktober sah sie nicht als überraschend an, sondern als Folge der Zustände im Gaza-Streifen, und charakterisierte die hoffnungslose und humanitär katastrophale Situation der Menschen vor Ort. Überzeugt war sie davon, dass eine gewaltsame Lösung keinen Frieden bringen wird: „Im Krieg gewinnt niemand, niemals hat ein Krieg ein Problem gelöst.“

So hat sich Sumaya Farhat-Naser selbst auch der Friedenserziehung verschrieben und hat nicht von ungefähr zahlreiche Preise für ihr Engagement für Frieden und Menschenrechte in der Region verliehen bekommen. Zu ihrem Lebenswerk gehört auch die Mitbegründung und Mitarbeit in Organisationen, die sich besonders für die Rechte von Frauen einsetzen. Begleitend zu dem Bildvortrag, erzählte die Friedensaktivistin von zahlreichen Initiativen, Begegnungen und Beispielen von Friedenserziehung an Schulen und Kursen in Flüchtlingslagern. Gewaltfrei denken, sprechen, handeln lautete die zentrale Botschaft und eine der Anekdoten – das Aufeinandertreffen mit einem israelischen Soldaten in einer gefährlichen Situation – zielte genau darauf: Dem anderen in die Augen sehen, den Menschen im anderen sehen: „Nur mit unserer Menschlichkeit können wir die Menschlichkeit der anderen erwecken.“ So hängen für Sumaya Farhat-Naser innerer und äußerer Frieden eng miteinander zusammen. Die Anerkennung der gleichen Rechte für alle, die Wahrnehmung von Verschiedensein als Bereicherung wird in ihrem Mantra ergänzt durch die Wertschätzung der eigenen Persönlichkeit: „Jeder Mensch hat einen wunderbaren Kern“, den man zum Glänzen bringen müsse, so Farhat-Naser.

Eindrücke von der Landschaft, von den Bemühungen um eine Kultivierung des Landes, dem Aufbau brachliegender Stätte, dem Bewahren und Pflegen von kulturellem Wissen (z.B. um die Bedeutung der Pflanzen) rundeten den Vortrag von Sumaya Farhat-Naser ab. Diese Landschaft klingt bereits in den Titeln ihrer Bücher an („Thymian und Steine“, „Verwurzelt im Land der Olivenbäume“, „Im Schatten des Feigenbaums“).

Der Nahostkonflikt spaltet und sicher wird man auch nicht alle Ansichten des Vortrags teilen oder einzelne Aussagen unkritisch aufnehmen müssen (es gibt z.B. kein allgemeines Verbot der Palästina-Flagge in Deutschland, wie es bei der Fragerunde am Ende gesagt wurde).

Sumaya Farhat-Naser hat aus ihrem Blickwinkel den Nahost-Konflikt und die Lage der Palästinenser*innen eindringlich beschrieben und zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Thema und zum Engagement für Frieden und Menschlichkeit aufgerufen.

[Hbr]