In der Hauptstraße 33 liegen seit diesem Donnerstag drei Stolpersteine, die an weitere Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung erinnern. Gunter Demnig, der Künstler und Initiator des Stolpersteinprojekts, verlegte die drei Betonquader eigenhändig im Pflaster der Fußgängerzone in Anwesenheit von zahlreichen Schülerinnen und Schülern des „Einsteins“ aus zwei 9. Klassen und einer 10. Klasse der Tulla-Realschule sowie interessierten Zuschauern. Auf den Messingtafeln stehen die Lebensdaten der NS-Opfer: Die drei Mitglieder der jüdischen Familie Gradwohl: Sigmund Gradwohl sowie seine Frau Celine und Sohn Leo überlebten die NS-Verfolgung nicht.
Für einen würdevollen Rahmen sorgte an diesem Morgen das Violinen-Spiel von Lena Stalinski (Jahrgangsstufe 1) und der „Einstein“-Absolventin Lea Balzar, die die Gedenkveranstaltung mit drei Stück umrahmten. Nach der Begrüßung der anwesenden Gäste durch Pastoralreferent Martin Kramer und der Ansprache von Oberbürgermeister Wolfram Britz stellte die Zeitzeugen-AG in einer szenischen Lesung, begleitet von historischen Fotos und eingespielten O-Tönen, das Schicksal der Familie Gradwohl dar. Über ein Vierteljahrhundert betrieb der Kaufmann Sigmund Gradwohl ein angesehenes Herrenbekleidungsgeschäft, an das sich zahlreiche Zeitzeuginnen und Zeitzeugen noch Jahrzehnte später erinnern konnten. Sogleich nach dem Beginn der NS-Herrschaft wurde die Familie Gradwohl, die durch ihre elsässische Herkunft die französische Staatsbürgerschaft besaß, drangsaliert. Eine Hausdurchsuchung und der Entzug von Pässen sollten die Familie einschüchtern. Sigmund Gradwohl flüchtete nach Straßburg, seine Frau und sein Sohn sowie eine Cousine versuchten das Geschäft trotz aller Schwierigkeiten weiter zu betreiben. Auch der reichsweite Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 traf die Gradwohls. SA-Posten zogen vor dem Eingang des Hauses auf und pöbelten alle Kunden an, die es wagten das Geschäft zu betreten.
Sogar das Auswärtige Amt sowie weitere Behörden waren in den Fall involviert, da sich die französische Botschaft für ihre Staatsangehörigen einsetzte, ohne deren Schicksal allerdings dauerhaft verhindern zu können. Nach Jahren der Ausgrenzung, Schikanierung und Entrechtung gab die Familie Gradwohl ihr Geschäft auf und verkaufte Wohn- und Geschäftsräume an den Nachbarn, das Café Markert (der Schriftzug des Cafés, das sich darauf um das Haus von Gradwohls erweiterte, steht noch heute verblasst am Gebäude). Auch in Frankreich war die Familie Gradwohl vor der NS-Verfolgung aber nicht sicher – Celine Gradwohl starb noch im Evakuierungsort im Elsass, Ehemann Sigmund im Internierungslager in Drancy, von wo die Züge in die Vernichtungslager im Osten abfuhren: In einem der Transporte saß Leo Gradwohl, der 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde.
Zum Abschluss der Gedenkveranstaltung legten SchülerInnen und Passanten Rosen neben die frisch verlegten Stolpersteine.
[Hbr]
Fotos: Stadt Kehl
Einstein-Gymnasium
Vogesenallee 24
77694 Kehl