„Halt ganz fest meine Hand“ – Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher besucht Kehler Schüler

Inge Auerbacher lebt seit einigen Jahrzehnten in New York. Zur Welt kam sie aber in Kippenheim bei Lahr am 31. Dezember 1934 als letztes Kind der jüdischen Gemeinde. Über 200 Jahre hatten Juden in Kippenheim gelebt, bis die die nationalsozialistische Verfolgung das jüdische Leben dort gewaltsam beendete. Heute ist Frau Auerbacher mit fast 84 Jahren immer noch viel unterwegs, um andere, besonders auch jüngere Menschen, mitzunehmen – an diesem Donnerstag in der Aula des Schulzentrums in Kehl: „Wir gehen auf die Reise meines Lebens“, lädt sie die rund 200 Schülerinnen und Schüler der Tulla-Realschule und des Einstein-Gymnasiums ein, zu denen sie im Rahmen der Gedenkwoche zur Reichspogromnacht spricht. Dabei legt sie gleich zu Beginn Wert darauf, dass ein friedliches Zusammenleben unterschiedlichster Religionen möglich ist wie Hauswand an Hauswand in ihrer Heimatstadt New York: „Man muss den anderen Menschen kennenlernen.“ So stellt Inge Auerbacher in der Folge sich, aber auch ihre Familie und viele weitere Menschen vor, die in ihrer Kindheit und Jugend eine besondere Rolle gespielt haben. Eines der ersten berührenden Bilder, mit denen sie ihren Vortrag illustriert, zeigt sie als kleines Mädchen im Sandkasten: „Diese Sandkuchen waren wohl die ersten Proben als Wissenschaftler“, sagt die studierte Chemikerin verschmitzt. Ein weiteres Bild zeigt ihren Vater als jungen Soldaten des Ersten Weltkrieges. Seine schwere Verletzung und die Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz nehmen die Familie Auerbacher nicht von der Verfolgung durch den NS-Staat aus.  Das zeigt sich am Morgen nach der Reichspogromnacht, als der Vater und Großvater verhaftet und ins KZ Dachau transportiert werden. Mit ihrer Mutter und Großmutter steht Inge Auerbacher bald darauf im elterlichen Haus, als randalierende Burschen und Männer alle Scheiben mit Ziegelsteinen einwerfen.

In ihrem Vortrag geht Frau Auerbacher auch immer wieder auf die wenigen Menschen ein, die der Familie helfen. Zu diesen gehören Bauern aus Jebenhausen, die heimlich Lebensmittel bringen. In den Vorort von Göttingen ist Inge Auerbacher mit ihren Eltern im Mai 1939 ins Haus der Großeltern gezogen und fährt noch alleine zur Schule nach Stuttgart als 6-jähriges Mädchen – an der linken Brust ab September 1941 der gelbe Judenstern. Inge Auerbacher bewahrt ihren Stern noch immer und zeigt ihn den Schülern: „Mein Vater sagte: Setz dich im Zug so hin, dass du den Stern verdecken kannst.‘“ Der Deportation in den Osten kann die Familie aber auch in Jebenhausen und nach dem Zwangsumzug nach Göppingen nicht entgehen: Am 22. August 1942 wird Inge Auerbacher mit ihren Eltern ins KZ Theresienstadt deportiert. Ihren Alltag im KZ, die menschenverachtenden Zustände, Enge, fehlende Hygiene, Hunger und Krankheiten schildert Frau Auerbacher ebenso direkt und eindrücklich in Worten und Bildern wie die ständige Gefahr der Deportation ins Vernichtungslager Auschwitz, wo der Großteil ihrer Mitmenschen ermordet wird – darunter ihre beste Freundin im KZ: Ruth Nelly Abraham. Dieser Freundin ist auch ihr Gedicht „Halt mich fest“ gewidmet, mit der Inge Auerbacher den Vortrag schließt: „Komm, mein Kind, halt ganz fest meine Hand, sei ganz ruhig, dies alles fasst kein Verstand.“ Die Schüler hat sie auch bei einzelnen Fotos auf die Menschen hingewiesen, die zuschauen, wenn Unrecht geschieht. Im heutigen Alltag fordert sie ihre jungen Zuhörer entschieden zum Handeln auf: „Man muss nicht besonders sein, nicht berühmt sein, um etwas Gutes zu tun.“ 

[HBR]