Einmal hinter die Kulissen
schauen, besondere Gesprächspartner finden und Orte besuchen, wo man
normalerweise nicht (ohne Weiteres) hineindarf – das ermöglicht „Backstage“,
eine Veranstaltungsreihe der Landeszentrale für politische Bildung (LpB). Zu
unterschiedlichen politischen Themen bietet die Landeszentrale für Klassen und
Kurse ihre „Backstage“-Fahrten an. Bei den zahlreichen Bewerbungen entscheidet
dann das Losglück über die Teilnahme. Dieses Schuljahr konnte sich auch der
4-stündige Gemeinschaftskundekurs der Jahrgangstufe 1 des Einstein-Gymnasiums darüber
freuen, zu den auserwählten Gruppen zu gehören. Passend zu den Europawahlen und
dem 70. Geburtstag der Nato unternahmen die Schülerinnen und Schüler eine
Exkursion nach Freiburg, in deren Mittelpunkt die Frage stand, wie (und an welchen Orten) Europa in Zukunft
verteidigt werden soll.
Der erste Gesprächspartner
in der Außenstelle der LpB in Freiburg war der vielleicht prominenteste
Rüstungsgegner Deutschlands, Jürgen Grässlin. Prägend für Grässlin ist seit
Jahrzehnten der Kampf gegen die mächtigen Rüstungskonzerne, und damit die
Erfahrung, „seit 25 Jahre verklagt zu werden“. Schülerorientiert und authentisch
veranschaulichte er die Folgen der deutschen Waffenexporte, die oft zeitlich in
den Empfängerländern späteren Flüchtlingsströmen vorangehen. Den Stopp von
Waffenexporten besonders in Drittländer außerhalb der Nato und EU sah Grässlin
als einen der Schlüssel für eine sichere und friedvollere Welt an: „Wer Waffen
säht, wird Flüchtlinge ernten.“ Seine drastischen Erfahrungen in Krisen- und
Konfliktgebieten beeindruckten die „Einsteiner“ ebenso wie die Hinweise auf bedenkliche
Entwicklungen in der Rüstungsindustrie, z.B. die Verlagerung von
Waffenproduktionen in Länder, die noch laxer Ausfuhren genehmigen, und
Grenzsicherungszäune als neues Angebot in der Produktpalette von
Rüstungsunternehmen.
Journalist Christopher Ziedler, der die Hauptstadtredaktion der Stuttgarter Zeitung leitet, legte mit seinem anschließenden Vortrag den Fokus auf die Entwicklungen in der EU hin zu einer verstärkten Zusammenarbeit in der Verteidigungs- und Rüstungspolitik. Ziedler ging auf die Standpunkte der Parteien zu einer europäischen Armee im laufenden Wahlkampf ebenso ein wie auf Entwicklungen, die diese Idee attraktiv erscheinen lassen, insbesondere die veränderte Wahrnehmung der USA als sicherheitspolitischer Partner unter Trump. Mit Blick auf den ersten Vortrag war auch die Aussage wichtig, dass eine europäische Armee mehr Zusammenarbeit in der europäischen Rüstungspolitik bedingen würde.
Nach der Mittagspause führte die Backstage-Tour abschließend zur deutsch-französischen Brigade in Müllheim. Diese gilt als ein Vorzeigemodell dafür, wie eine europäische Armee in Zukunft aussehen könnte. Beinah alle Abteilungen der Brigade sind binational, die Sprachen gleichberechtigt, das Wappen verbindet französische Trikolore und Schwarz-Rot-Gold, Kommandeur und Stellvertreter sind ein Deutscher und ein Franzose, wobei die Führung alle zwei Jahre rotiert. In den Räumlichkeiten der Kaserne wurden den Schülern Geschichte, Aufbau und Aufgabenspektrum der Brigade ebenso erläutert wie die binationale Zusammenarbeit im technischen, aber auch zwischenmenschlichen Bereich. Deutlich wurde, weshalb Befürworter einer europäischen Armee diese als vorbeugendes Mittel gegen einen Krieg zwischen den beteiligten Nationen sehen. Zugleich schwang hier eine ganz andere Perspektive und Sprache mit als etwa im ersten Vortrag von Jürgen Grässlin. Moderne Waffensysteme wurden in ihrer Bedeutung für Standorte hervorgehoben, die Präsentation von Uniformen, Soldaten und Militärgerät, wie sie am 14. Juli in Frankreich Tradition hat, als positiv bewertet und Auslandseinsätze als „militärisches Kerngeschäft“ bezeichnet, deren Sinn man nicht hinterfragen wollte: „Das ist ein politischer Auftrag. Wir sagen nicht von uns aus: ‚Wir gehen nach Mali.‘“
So erlebten die „Einstein“-Schüler, die nach jedem der Vorträge auch Fragen stellen konnten, über den Tag eine facettenreiche, informative und kontroverse Exkursion zu der Frage, wie Verteidigung, Frieden und Sicherheit für Europa gestaltet sein können.
[HBR]
Foto: Pressestelle der dt.-frz. Brigade