Vertrieben aus dem Paradies der Kindheit

Autorin Mehrnousch Zaeri-Esfahani erzählt von ihrem Weg aus dem Iran nach Deutschland 

Mehrnousch Zaeri-Esfahani braucht kein Fotoalbum, um Eindrücke ihrer Kindheit zu zeigen. Alleine mit ihren Worten und Erzählungen malt sie aus ihrer Erinnerung Bilder, die eine große Zuhörerschaft bannen können. Geboren 1974 im Iran hat Zaeri-Esfahani sowohl die Regentschaft des Schahs als auch die islamische Revolution als Kind und Jugendliche erlebt. Der Verlust von Freiheit, die Gefühle von Angst und Repression waren ihr daher in frühen Lebensjahren vertraut. Als ihre Familie 1985 schließlich den gefährlichen Schritt wagt, die eigene Heimat zu verlassen, werden die Flucht, das Einrichten und Ankommen in der Fremde zu zentralen Erfahrungen der Autorin. Vor den Achtklässlern des „Einsteins“ stehend, die ihre autobiografische Erzählung „33 Bogen und ein Teehaus“ im Unterricht gelesen haben, erzählt Zaeri-Esfahani vom Königreich ihrer Kindheit. Ihr Familienname weist bereits auf ihren Geburtsort und die frühe Heimat hin: In Isfahan besucht Mehrnousch Zaeri-Esfahani aufgrund der aufziehenden politischen Unruhen keinen Kindergarten. Stattdessen kann sie im milden Klima fast ganzjährig als „Königin des Gartens“ herrschen. Zu ihrem Reich gehören damals riesige Gottesanbeterinnen in einem Dach aus Trauben, die so groß waren, dass sie dem Mädchen wie „richtige Tiere“ erschienen. Zu den Bewohnern des kleinen Paradieses gesellen sich auch zahlreiche Katzen, die hier Asyl finden vor wilden Hunderudeln und grausamen Menschen. Mit  ihrem Bruder wird Zaeri-Esfahani in den Gassen zur Katzenpolizei. Die Namen aus Disney-Filmen für die zahlreichen Katzenbabys gehen ihr eines Tages aus.

Im Iran selbst klammert sich derweil der Schah, der „Herrscher der Herrscher“, mit seiner Familie an den Pfauenthron, bewundert von dem Mädchen: „Die Paläste, die Kronen, die Kleider habe ich so gerne gemalt.“ Zaeri-Esfahanis Vater, ein wohlhabender Arzt und Chirurg, bekommt dagegen durch seine Arbeit in der Armenpraxis am Abend ein düsteres Bild zu sehen. Die aufflammenden Proteste gegen den Schah wirken auf das Kind wie Sommerferien, denn plötzlich sind die Brüder nicht mehr in der Schule und der Vater nicht mehr bei der Arbeit. Die Menschen versammeln sich in Isfahan auf dem zentralen „Königsplatz“. Unter ihnen auch die junge Mehrnousch Zaeri-Esfahani: „Ich habe die Revolution auf den Schultern meines Vaters erlebt und gesehen. Ein Menschenmeer ohne Ende, nur ein Horizont.“ Aus den Augen eines Kindes lässt Zaeri-Esfahani die Revolution vor ihrem jungen Publikum noch einmal ablaufen: Die Stimmung „sinnloser Fröhlichkeit“, das Trommeln, Schnipsen, Tanzen und Singen der Demonstranten, die nachts auf die flachen Dächer Isfahans steigen. Auch Mehrnousch brüllt mit ihren Brüdern um die Wette in die Nacht und läuft Gefahr bei zu viel Unsinn von der Mutter ein dreitägiges „Revolutionsverbot“ zu bekommen. „Chomeini zum Führer“ brüllen die Kinder. Für das Kind ist der Revolutionsführer zunächst ein liebenswerter alter Mann, „so eine Art Dumbledore als Orientale“. Bald jedoch verwandelt sich auch dieses Bild; in der Phantasie des Mädchens färben sich seine Augen gelb und sein Bart blutrot. Es beginnt eine neue Zeit, die für das Kind geprägt ist von zahllosen Verboten, von Unfreiheit und Ängsten. Neue Hunderudel streifen durch die Straßen in Form von Revolutionswächtern, denen man nicht mehr in die Augen sehen oder sich entgegenstellen darf.

Mehrnousch Zaeri-Esfahani erzählt an diesem Morgen auch von den weiteren Stationen ihres Weges, der schwierigen Ausreise in die Türkei und über die DDR in die Bundesrepublik. Wie in ihrer Erzählung „33 Bogen und ein Teehaus“ versteht es die Autorin so, ihren Zuhörern eindrucksvoll ihre Erlebnisse aus dem kindlichen Blickwinkel nahezubringen – mit den Schrecken und Freuden, Glücksfällen und Widerständen, und der kindlichen Kraft, sich auf Neues einzulassen und die Bilder in sich zu bewahren.

[HBR]

Zaeri