Voll der Osten – Fotoausstellung und Zeitzeugen-Gespräch zur DDR-Geschichte am „Einstein“

Der Name ist Programm: „Voll der Osten. Leben in der DDR“ lautet der Titel der Fotoausstellung, die in diesen Wochen im Erdgeschoss des Einstein-Gymnasiums für alle Schülerinnen und Schüler zugänglich ist. Auf 20 Tafeln präsentiert die Ausstellung über 100 Fotografien des Künstlers Harald Hauswald, der mit seiner Kamera den unverfälschten DDR-Alltag in den 80er Jahren eingefangen hat. Kein Wunder, dass ihn die Stasi observierte und unter dem Decknamen „Radfahrer“ führte. Seine Fotografien wurden in Ostpublikationen nicht abgedruckt. Tatsächlich eröffnen die Ausstellungstafeln mit Ein-Wort-Überschriften wie „Macht“, „Lüge“, „Widerstand“ oder „Verfall“ politische Lesarten, die die Kritik am System schlagwortartig zu formulieren scheinen. Hauswalds Bilder entfalten ihre besondere Wirkung jedoch auch in diesen Kontexten an zunächst unscheinbaren Details. So sitzen auf einem Foto eine Reihe Rentner beim „Fest an der Panke“ in Berlin-Pankow 1987 beinah regungslos unter einem Transparent mit der Aufschrift „Frieden ist nicht Sein, sondern Tun!“. Für Hauswald, dessen einbettende Kommentare mit QR-Code auf Youtube abgerufen werden können, ein Widerspruch in sich selbst: „Wie kann jemand auf die Idee kommen, über Bänke so ein Plakat aufzuhängen?“ Ein anderes Foto auf der gleichen Tafel zeigt einen Grundschüler, der beim Pressefest des „Neuen Deutschland“ 1985 an einem Stand an Kriegswaffen herangeführt wird. Das Motto der Veranstaltung: „Der Frieden muss bewaffnet sein“. Hilfreich kommentiert werden Hauswalds Bilder auf den Wandplakaten von dem Historiker Stefan Wolle, der die zeitgeschichtlichen Hintergründe beleuchtet, aber auch auf Hauswalds Zugang zu den fotografierten Menschen hinweist: „Jedes der Bilder erzählt eine Geschichte.“ So rückt Hauswald vielfach kleine Alltagsmomente in den Mittelpunkt und Gefühle, die sich gegenüberstehen: „Einsamkeit“, „Sehnsucht“ und „Traurigkeit“ lauten Überschriften, aber auch „„Neugier“, „Heiterkeit“ und „Gemeinschaft“. Auch den jüngsten Bewohnern und Jugendlichen der DDR widmet die Ausstellung viele Fotos, die Alltagsmomente im Osten der 80er Jahre näherbringen: So stehen auf einem Bild Kinder fasziniert bei einem im Sonnenlicht leuchtenden, urzeitlichen Wesen – Anwohner der „Hinterhofoase“ hatten das Gebilde aus Stahlschrott geschaffen.

Passend zur Ausstellung hatte die Jahrgangsstufe 2 des „Einsteins“ die Gelegenheit, den Zeitzeugen und Theaterregisseur Immo Sennewald zu sprechen – wie Harald Hauswald Dissident in der DDR. Man erlaubte ihm nach Jahren des Wartens schließlich die Übersiedlung. Mit Rainer Potratz übernahm wiederum ein Historiker die Einführung und konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Honecker-Ära. Die sich wandelnden politischen Umstände und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen skizzierte er ebenso wie Veränderungen in der Gesellschaft und die Entstehung sozialer Bewegungen, wie z.B. der Umweltbewegung als Antwort auf die Belastungen durch die Schwerindustrie und zunehmende Umweltverschmutzung. Immo Sennewald richtete anschließend den Blick auf seine eigenen Erfahrungen als Jugendlicher und junger Mann, auf das Maß an Freiheit, die er besaß und zugleich den „andauernden Zwiespalt, wie man sich verhalten soll“ angesichts der für ihn immer größer werdenden Widersprüche in der DDR. In Thüringen an der Zonengrenze beheimatet, in Reichweite aller Westsender und des Werbefernsehens („die stärkste Waffe der Bundesrepublik“), stand er immer vor der Situation, das andere Deutschland „vor der Nase zu haben, nur einen Katzsprung entfernt zu sein“. Viel Wert legte er darauf, Verallgemeinerungen zu vermeiden, „Jugendliche und Familien waren genauso individuell wie heute in ihrer Einstellung, manche Familien waren zufrieden, andere nicht“. Eindrücklich betonte er die Kreativität und Fantasie erzeugende Wirkung von Verboten und den politischen Witz, den diese hervorriefen. Bei seinem Ausreisantrag, so eine schließende Anekdote von Sennewald, wurde ihm prophezeit, dass er sich noch nach der DDR sehnen würde, wenn er denn dann im Hamburger Hafen arbeitslos säße. Tatsächlich saß Sennewald auch nach seiner Ausreise zunächst arbeitslos im Hamburger Hafen – aber nach der DDR sehnte er sich keineswegs zurück. Diese ging auch wenig später unter.

[HBR]